Tatverdächtiger für Mord an Pressefotograf und vier Frauen verhaftet - Druck auf Behörden wächst

von Gerd Goertz, Mexiko-Stadt

Sonntag, den 09. August 2015

(Berlin, 09. August 2015, npl).- Bei den Ermittlungen zu den Morden an dem 31-jährigen mexikanischen Pressefotografen Rubén Espinosa und vier Frauen in Mexiko-Stadt sind die Behörden nach eigenen Angaben ein wichtiges Stück vorangekommen. So verhafteten sie einen als Gewalttäter vorbestraften Mann, der aufgrund von Fingerabdrücken am Tatort identifiziert worden sein soll. Er hat demnach seine Anwesenheit während der Morde gestanden und Informationen über die zwei mutmaßlichen und noch nicht gefassten Mittäter gegeben.

Seltsame Ermittlungsrichtung der Hauptstadtbehörden

Auch steht inzwischen die Identität der vierten und besonders schlimm gefolterten Frau fest, die zuvor in der Presse nur „die Kolumbianerin”, „Nicole“ oder „Simone“ genannte wurde. Es handelt sich laut einer knappen Mitteilung des kolumbianischen Innenministeriums um die 29-jährige Mile Virginia Martin. Unter den am 31. Juli in einer Innenstadtwohnung durch Genickschüsse ermordeten Opfern befinden sich außerdem die 32-jährige soziale Aktivistin Nadia Vera sowie die 18-jährige Studentin Yesenia Quiroz und die von den Medien kaum erwähnte 40-jährige Hausangestellte Alejandra Negrete.

Unabhängig von den bisherigen Ermittlungsergebnissen, die Rodolfo Ríos, der Generalstaatsanwaltschaft von Mexiko-Stadt, verkündete, stehen die Behörden unter Druck. Sie genießen nicht unbedingt Glaubwürdigkeit. Der Sicherheits- und Mexikoexperte Edgardo Buscaglia, ehemaliger UNO-Berater und heute Forscher an der Columbia Universität in New York, brachte dies auf den Punkt. Er kritisierte die Tendenz der Hauptstadtbehörden, ihre Vermutungen vor allem Richtung Raubmord oder krimineller Verbindungen nach Kolumbien zu lenken, obwohl mit Rubén Espinosa und Nadia Vera zwei der Opfer in der Hauptstadt Zuflucht vor Bedrohungen im Bundesstaat Veracruz gesucht hätten. „Wenn es in Mexiko-Stadt eine unabhängige und autonome Staatsanwaltschaft gäbe, dann wäre seine erste Untersuchungshypothese ein mit der politischen Korruption im Bundesstaat Veracruz verbundener Mord gewesen“, erklärte Busaglia laut Tageszeitung La Jornada.

EU-Delegation kritisiert Zustände in Veracruz

Dies dürfte auch die öffentliche Meinung mehrheitlich so sehen. Zu sehr haben die vorherigen 14 Journalistenmorde, verschwundene und geflüchtete Journalist*innen und zahlreiche Attacken auf die Pressefreiheit im Bundesstaat ein ganz dunkles Licht auf die 2010 begonnene Amtszeit des im Bundesstaat Veracruz autoritär regierenden Gouverneur Javier Duarte geworfen.

Dessen Bedauern über das „abscheuliche Verbrechen“ wird allgemein als heuchlerisch eingestuft. Sowohl Espinosa als auch Vera hatten die Regierung Duartes in der Vergangenheit direkt für Drohungen gegen sie verantwortlich gemacht.

Selbst die Delegation der Europäischen Union und die Botschaften der Mitgliedstaaten erwähnen in ihrer am vergangenen Mittwoch veröffentlichten Verurteilung der Morde relativ deutlich die Zustände in Veracruz, einschließlich des erst im Juni im Bundesstaat selbst begangenen Mordes an dem Journalisten Juan Mendoza Delgado. Ein Wink mit dem Zaunpfahl. Die EU reiht sich damit ein in eine immer länger werdende Liste nationaler und internationaler Organisationen und Menschenrechtszusammenschlüsse, die ähnliche Statements abgeben.

Dilemma für Ermittler*innen

Die Staatsanwaltschaft und die Regierung von Mexiko-Stadt stehen vor einem Dilemma: Sollten die lokalen Ermittler*innen den Fall lückenlos aufklären und die Spuren führen wirklich bis in höchste Kreise in Veracruz, würde das ein politisches Erdbeben bedeuten. Hinzu käme die wahrscheinliche Konfrontation mit der das Land regierenden Revolutionären Institutionellen Partei PRI (Partido Revolucionario Institucional) von Präsident Enrique Peña Nieto. Dieser hat seinen Parteifreund Duarte bisher stets gedeckt. Kommt die Staatsanwaltschaft zu einem anderen Ergebnis oder versucht sie aus politischen Erwägungen Tatsachen zu verschleiern, setzt sie das politische Kapital von Hauptstadtbürgermeister Miguel Ángel Mancera aufs Spiel.

Unterdessen sammeln sich vor dem Tatort jeden Tag Menschen und protestieren. Für sie sind die jüngsten Morde „neue Wunden für Mexiko“. Sie erweitern die Liste mit den 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa und vielen anderen Verbrechen, für die die Demonstrant*innen staatliche Stellen zumindest mitverantwortlich machen.

http://www.npla.de/de/poonal/5212