Wechsel der Gemeinde-Autoritäten im Lacandonen-Urwald

14. Mai 2017
überliefert von La Jornada

Wie jede drei Jahre, spielen bei der Wahl der Autoritäten in der Lacandonen-Gemeinde (Comunidad Lacandona) am 16. Mai eine Reihe sehr unterschiedlicher und mächtiger Interessen mit. Mehrheitlich sind es nicht die Interessen der indigenen Völker, die den Lacandonen-Urwald im Bundesstaat Chiapas bewohnen.

Seit ihrer Gründung per Präsidentendekret im Jahr 1971, mit dem 66 Familien damals 614 321 Hektar Land zugesprochen wurden, stand die Comunidad Lacandona im Ruf, „Streikbrecherin“ gegenüber den indigenen Bewegungen und Organisationen zu sein - und bedingungslos ergeben, was die Regierungsentscheidungen anbelangte. Das Dekret schuf die grösste Agrargemeinde des Landes, eine Art Kollektivlatifundium. Dabei liess es mehr als dreitausend Familien der choles und tseltales, die den Urwald bewohnten, ohne Land und Rechte. Viele von ihnen waren legal als Ejidos konstituiert, die sich auf präsidentielle Resolutionen vor dem Dekret stützen. Sieben Jahre später musste die Regierung diejenigen tseltales und choles als legitime Eigentümer*innen anerkennen, die vor den lacandones in der Region lebten. Sie wurden zur Umsiedlung gezwungen und gründeten die Gemeinden Nueva Palestina und Frontera Corozal. Die Zahl der Gemeindebäuer*innen (comuneros) erhöhte sich auf 1 678, nur 13 Prozent von ihnen sind heute lacandones. Trotz ihrer breiten Mehrheit waren tseltales und choles nur comuneros zweiter Klasse, denn nach dem alten und diskriminierenden Gemeindestatut musste die Amtsgewalt immer bei den „authentischen lacandones“ bleiben.

Fast 40 Jahre lang wurden die lacandones vom Staat benutzt, die schmutzige Arbeit zu verrichten, die Räumung derjenigen Gemeinden zu fodern, die sich der Umsiedlung verweigert hatten sowie weiterer Uwaldbewohner*innen, die als Eindringlinge gebrandmarkt wurden. Die lacandones akzeptierten vorbehaltlos die Regierungsstrategien und die Durchführung von kommerziellen und umweltbezogenen Projekten. Diese Haltung provozierte gewalttätige Konflikte mit den anderen Völkern im Urwald. Doch 2008 entschieden die lacandones per Mandat ihrer Versammlung einen Politikwechsel. Sie brachten einen Friedensprozess mit den Nachbargemeinden auf den Weg.

Chankin Kimbor Chambor ist ein junger lacandon, der von 2011 bis 2014 den Vorsitz des Kommissariats für Gemeindeland innehatte. Er und die übrigen Gemeindeautoritäten stiessen Versöhnungsabkommen mit den Gemeinden an, die auf dem Land, das der Comunidad Lacandona zugesprochen wurde, angesiedelt sind. Sie sollten ihren Landbesitz behalten können, aber als Gegenleistung zusagen, gemeinsam den Urwald zu schützen. Es gelang, mit 43 Ejidos, die der Staat als irregulär ansah und mit der Räumung bedrohte, Abkommen zu schliessen. Doch als diese formalisiert werden sollten, begegneten die Beteiligten der Weigerung der Agrar- und Umweltbehörden. Die lacandones mussten feststellen, dass sie zwar Eigentümer*innen der Böden sind, aber eine eingeschränkte Entscheidungsgewalt über sie haben, weil der Staat sie als Naturschutzgebiete dekretiert hat. Auf der einen Seite akzeptiert der Staat keine Agrarvereinbarungen, die auf die gemeinsame Nutzung des Territoriums mit den Nachbargemeinden abzielen. Auf der anderen Seite unterstützt er die Kontrolle der Naturschutzgebiete auf ihrem Land durch externe Akteure.

Entsprechend gross war der Aufruhr, als 2014 die Versammlung der Comunidad Lacandona gegen den Widerstand der offiziellen Agrarbehörden mit ihrem Votum erstmals einen tseltal als Vorsitzenden des Komissariats für Gemeindeland für die Amtszeit bis 2017 bestimmte.

Die Unbotmässigkeit der Mitglieder des von Chankin Kimbor Chambor geleiteten Kommissariats der Comuniddad Lacandona kam diese teuer zu stehen. Sie hatten auf den Frieden gesetzt, indem sie den tseltales und choles ihre vollen gemeindebezogenen Rechte und den im Urwald lebenden Gemeinden ihre Landrechte zurückgaben. Der Regierung gelang es einmal mehr, zu spalten. Sie kaufte viele Lacandonengruppen, die ihr Exklusivrecht auf den Urwald gegenüber den anderen indigenen Völkern nicht verlieren wollen. In den drei vergangenen Jahren sind der ehemalige Kommissariatsvorsitzende  Chankin und sein Rat zusammen mit ihren Familien von der Regierung und unbekannten Personen verfolgt und bedroht worden. Sie wurden herabgewürdigt und in ihren eigenen Gemeinden angepöbelt, angeklagt, Zapatist*innen, Umweltmörder*innen und Gegner*innen des Lacandonenvolkes zu sein.

Angesichts des Wechsels der Autoritäten ist die in den vergangenen neun Jahren geleistete Anstrengung aus dem Innern der Comunidad Lacandona, die Mitbestimmung zu demokratisieren, Autonomie zu besitzen, und in Frieden zu leben, erneut in Gefahr. Der Lacandonen-Urwald ist, wie es der grosse verstorbene Historiker Jan de Vos schrieb „ein Land, um Träume zu säen“. Der Traum von Chankin ist es, den indigenen Völkern, mit denen sein Volk das Territoritum des Lacandonen-Urwaldes teilt, ihre usurpierten Rechte zurückzugeben, um den Urwald gemeinsam zu schützen. Hoffen wir, dass dieser Traum der Realität ein Stück näher kommt.

übersetzt pro Gerold Smidht