Multis dürfen Genmais anbauen

MEXIKO
Multis dürfen Genmais anbauen
von Angélica Enciso, Blanche Petrich
(Mexico-Stadt, 13. Februar 2012, la jornada/poonal).- Die multinationalen Gentechnikkonzerne haben seit mehr als einem Jahrzehnt darauf gewartet: In diesem Jahr wird die Tür für den kommerziellen Anbau von Genmais in Mexiko geöffnet. Ohne große Ankündigung beseitigte das Agrarministerium am 31. Dezember 2011 das letzte Hindernis, welches dem Anbau des genveränderten Getreides im Wege stand. Es erlaubte die so genannte Pilotphase.
Umstrittene Argumentation
Den Anfang wird auf einer Fläche von 63 Hektar der Konzern Monsanto im Bundesstaat Sinaloa machen. Weitere Flächen werden in Chihuahua, Coahuila, Durango und Sonora folgen. Und wenn in absehbarer Zeit die Genehmigungen für den Bundesstaat Tamaulipas in Kraft treten, wird eine Gesamtfläche von 1.000 Hektar überschritten. Die Pilotphase kann als die Vorstufe zu einem ausgedehnten kommerziellen Anbau auf gut 2 Millionen Hektar Land im Norden Mexikos angesehen werden, wo der Bewässerungsanbau praktiziert wird. Für BefürworterInnen wie KritikerInnen der Transgene handelt es sich bei dieser Phase gleichermaßen um die letzte Formalität.
Einige agrarindustrielle ProduzentInnen, FunktionärInnen und ForscherInnen präsentieren diese Situation als Gelegenheit, die unzureichenden Erträge dieses Getreides zu beheben und mit den neuen Maissorten den verheerenden Folgen der Dürren zu begegnen. In der Tat geht die Verlautbarung des Agrarministeriums, mit der die letzten Schutzwälle für den traditionellen einheimischen Mais eingerissen werden, mit der „Anmerkung“ von Genmais produzierenden Unternehmen einher, dass es dringend notwendig sei, zur kommerziellen Phase überzugehen.
Extensiver Anbau im Ursprungsland
Dagegen versichern andere Gruppen – WissenschaftlerInnen, ProduzentInnen und UmweltschützerInnen – dass die neuen Sorten nicht einmal den Dürren widerstehen. Sie fürchten, der nächste Schritt könne die biologische Vielfalt des Getreides gefährden. Praktisch wird in jedem Winkel des mexikanischen Territoriums Mais angebaut: Ixim wird der Mais von den Mayas und Chontales genannt, für die Nahuas in verschiedenen Regionen handelt es sich um tlayóhli oder tlaoli, Mayos und Yaquis sprechen vom bachi, die Totonacos von kuxhe. Bei den Otomíes heißt er dethá, xuba bei den Zapotecos, ’ini bei den Triquis, nnan bei den Amuzgos und sunuko bei den Rarámuris. Die Purépechas nennen ihn tsiri.
Nach China ist Mexiko das zweite Land, das den extensiven Anbau einer gentechnisch veränderten Kulturpflanze erlaubt, obwohl dessen Ursprungsland ist. „Mexikos Aufgabe ist es, den Mais zu schützen. Es ist traurig zu sehen, dass es sich um das einzige Getreide handelt, das in seinem Ursprungszentrum nicht geschützt wird“, erklärt Dr. Elena Álvarez Buylla. Die Expertin hat einen Doktortitel in Molekulargenetik und koordiniert das molekulargenetische Labor für Pflanzenevolution des Ökologischen Instituts der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM).
Genlobby: Alles nur Mythen
Kurz bevor die Konzerne mit den so genannten Pilotpflanzungen beginnen und das Kontaminationsrisiko durch die Bestäubung der traditionellen einheimischen Maispflanzen exponentiell steigt, bleibt es eine offene Kontroverse, was für das ländliche Mexiko auf dem Spiel steht. Auf viele Fragen gibt es noch keine Antwort. Die Polemik begann Mitte der 90-er Jahre. Sie erreichte die wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften in der Welt, mobilisierte die Landbevölkerung und ließ die LobbyistInnen der Großunternehmen Millionen US-Dollar locker in Öffentlichkeitsarbeit und Werbung stecken und sie verursachte, nicht immer öffentlich gemachte, Diskussionen in Regierungseinrichtungen.
Alejandro Monteagudo Cuevas ist Direktor von Agrobio. Die Vereinigung repräsentiert in Mexiko Monsanto und vier weitere Giganten der Biogenetik: Bayer, Dow, Dupont-Pioneer und Syngenta. Letztgenannte erhielten ebenfalls Genehmigungen für den Versuchsanbau von Genmais. Monteagudo Cuevas begrüßt es, dass nach einem „sehr langen“ Prozess der Rechtsrahmen für die Transgene „alle Mythen über die Risiken der Biotechnologie beseitigt hat“. Denn, „alles, was über die Folgen für die menschliche Gesundheit, die Umwelt und das Risiko für die biologische Vielfalt der unterschiedlichen einheimischen Maisarten gesagt wurde, ist eine ausgestandene Diskussion“, meint er.
Heute verfügen die fünf erwähnten Multis über mindestens 17 Genehmigungen für den Anbau von Genmais in der so genannten Pilotphase. Diese ist laut dem Gesetz über die Biosicherheit die Vorstufe zur endgültigen Freisetzung. Die Aussaat kann in jedem Gebiet erfolgen, das von den zuständigen Behörden – Umwelt- und Agrarministerium – nicht als Ursprungszentrum eingestuft ist. Folgt man der offiziellen Karte, so sind etwa zwei Millionen Hektar Boden in Bewässerungszonen für den Anbau von Genmais geeignet. Diese Zonen liegen vor allem im Lagunengebiet des Bundesstaates Tamaulipas sowie im Bundesstaat Sinaloa.
Bevor er hinter dem Schreibtisch von Agrobio die Geschäfte führte und im Namen der Multis sprach, arbeitete Monteagudo in der Abteilung Handelsverhandlungen des Wirtschaftsministeriums. Und zwar genau in dem Moment, in dem der Rechtsrahmen für die Biotechnologie diskutiert und verabschiedet wurde. Er ist ein weiteres Beispiel für die „Paternoster-FunktionärInnen“: Sie betreten den Aufzug auf der einen Seiten als staatliche Funktionsträger, um ihn dann auf der anderen Seite als Beschäftigte der Privatindustrie zu verlassen – und umgekehrt. Hat das im Gesetz über Biosicherheit vorgesehene Vorsorgeprinzip noch Gültigkeit für Monteagudo? Er sieht das so: „Das Prinzip beruht nicht auf Annahmen, Glauben oder der Lotterie. Es gibt eine Regel und nach dieser befinden wir uns bereits in der Versuchsphase. Es ist die Phase, die zeigen soll, dass der konventionelle Mais und Genmais aus agrarwirtschaftlicher Perspektive gleichgestellt sind.“
Wissenschaft: Überflüssige Technologie
Völlig entgegengesetzt sind die Auffassungen der erwähnten Molekularbiologin und Vorsitzenden der Vereinigung gesellschaftlich engagierter WissenschaftlerInnen, Elena Álvarez Buylla: „Seit 20 Jahren existieren die Transgene in der Landwirtschaft. Weltweit gibt es heute mehr Hungernde als vor zwei Jahrzehnten. Man will uns die genveränderten Organismen als Spitzentechnologie verkaufen. Doch diese Technologie hat sich bereits als überflüssig erwiesen. In den USA sieht sich Monsanto sogar Klagen gegenüber, weil das Gensaatgut aufgrund neuer, gegen Glyphosat resistenter, Unkräuter im Endeffekt teurer ist. Diese Technologie hat langfristige Umweltfolgen.“
Ihrer Meinung nach existieren bessere Optionen, die Maisproduktion anzukurbeln: „Ohne Transgene könnten neuere Technologien die Maisproduktion um das Fünffache steigern. Ein Entwicklungsprogramm mit den modernsten agrarwissenschaftlichen Techniken könnte den Anbauern erlauben, denjenigen genetischen Reichtum auszunutzen, der aus einer evolutionären Entwicklung hervorgegangen ist und seine Effizienz gegenüber den Umweltherausforderungen bewiesen hat. Dieser genetische Reichtum kann angesichts des Klimawandels entscheidend sein.“ Álvarez Buylla vertraut auch auf die traditionelle Anbautechnik der mexikanischen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, die sich auf tiefe und Jahrtausende alte Erfahrungen stützt. „Das Land ist Selbstversorger bei weißem Mais, obwohl der einfache Landbau sich selbst überlassen wird. Wenn das vorhandene Wissen mit einer Politik verbunden wird, die sich dem Gemeinwohl und der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt, dann können wir aus Mexiko eine Getreidekammer machen.“
[Der Originalartikel erschien am 13. Februar 2012 in der mexikanischen Tageszeitung "La Jornada“. Der Text ist einer von sieben Artikeln der AutorInnen zum Thema Gentechnik in Mexiko, die wir in den kommenden Wochen hier wiedergeben werden.]
Übersetzung: "Entre Campos & Entre Pueblos – Zwischen Land und Leuten“